Einleitende Worte des Neffen von Frau Woschitz:
Die Jugoslawen haben Anfang der 19er Jahre Bereiche Kärntens nach der Reihe besetzt.
Sie waren in Rosegg, Augsdorf, Schiefling, hier bei uns und in Unterkärnten waren sie auch.
Dass sie nachher zurück mussten, ergab sich aus der Vereinbarung mit der Demakartionslinie.
Diese Linie ging durch den Wörthersee.
Frau Woschitz:
Ich kann mich nur auf den Abstimmungstag erinnern, das weiß ich noch genau.
Damals war ich zwölf Jahre alt. Mein Vater ist bei der Kommission gewesen und als er heimkam um sich ein wenig auszurasten, schickte er uns auf die Gemeinde um von uns immer den aktuellen Stimmenstand zu erfahren.
Welche Gemeinde war das?
St. Martin bei Klagenfurt, das war damals eine eigene Gemeinde.
Vater erzählte: Die Augsdorfer Bürgerwehr wurde von den Jugoslawen aus dem Ort getrieben. Eine Horde von Weibern rannte hinterher. Die Einheimischen mussten wie Gefangene marschieren, wurden beschimpft und bespuckt. Die Leute fürchteten sich, weil sie keinen Schutz hatten.
War am Abstimmungstag noch etwas Besonderes?
Ja, am 10. Oktober. Den Jubel von damals kann ich kaum beschreiben. Die Kinder jubelten mit, obwohl sie nicht recht wussten warum. Die Glocken läuteten, mir scheint ich höre sie heute noch. Die ganze Nacht war keine Ruhe, viele Leute kamen und der Hof war voller Menschen. Ringsum brannten Feuer, schön war es!
Schade, dass man heute alles für so selbstverständlich nimmt, besonders die Jugend hat heutzutage so wenig Interesse. Von den Slowenen wurden damals vom Kirchturm aus Blinkzeichen auf den Ratschsberg gesendet.
Warum machte man das, was wollten sie denn sagen?
Das weiß ich nicht, es war halt der slowenische Pfarrer mit den Slowenen.
Weitere Anmerkung des Neffen von Frau Woschitz:
Von 1945 bis 1948 galt Frau Woschitz in Ebental als Engel der Armen.
Zeitzeugen berichten noch heute von Ihrer Güte und Großzügigkeit.
Es war eine sehr schlechte Zeit, Kinder gingen mit primitivsten Mitteln Schi- oder Schlittenfahren und keiner ging je bei der Bäckerei Woschitz vorbei, ohne ein Stück Brot oder sonstiges zu Essen zu bekommen.
Brief an Frau Woschitz
Schrarz, am 25. November 1968
Seien Sie vor allem erstens recht lieb gegrüßt! Ebenso auch alle Eure Kameraden und Mitarbeiter. Hoffe, dass mein Schreiben Euch alle bei bester Gesundheit antreffen möchte. Da jetzt die Nächte so lange dauern und man nicht schlafen kann, setze ich mich im Bette auf und ich werde Euch aus dem Jahre 1920 etwas aufschreiben.
Ja, damals war draußen in Ebental an der Lamplbrücke die Demarkationslinie! Und die Bewohner der Zone A durften nicht so ohne einen Grund nach Klagenfurt, unserer lieben Hauptstadt, wo wir früher jede Woche einmal unsere Butter, Eier und solche Sachen verkaufen konnten.
Aber in derer Zeit sollten wir alles nach Ferlach tragen und dort verkaufen. Bei uns war das nicht notwendig, ich hatte nämlich in Klagenfurt Verwandte. Ein Kousin von mir hat öfters die Demarkationslinie heimlich überschritten und in die Zone A Flugblätter gebracht. Beim zurückgehen hat er bei meinen Eltern zugekehrt und dann Eier und Butter mitgenommen. Zu den Hungerleidern, wie die Slowenen damals die Klagenfurter betitelt haben, getragen.
Wie viele Jugoslawen sind heute in Klagenfurt, weil es ihnen bei den Hungerleidern besser geht?
Da ich im Jahre 1895 geboren wurde, war ich im Jahre 1920 schon 25 Jahre alt. Und als junges Mädl voller „Flausen“ wollte ich nach langer Zeit wieder einmal nach Klagenfurt!
Denn dort hatte ich eine Kousine und den schon erwähnten Kousin. Aber was für einen Grund sollte ich angeben, damit ich nach Klagenfurt gehen dürfte? Ahja - zum Zahnarzt würde ich gehen! Um zum Zahnarzt zu gehen, hat man von der Gemeinde eine Bewilligung bekommen. Ich binde mir ein Tuch über den Kopf, als hätte ich Zahnschmerzen und gehe zur Gemeinde um eine Bewilligung für mich zu holen. Die Bewilligung habe ich dann auch wirklich bekommen.
Aber mitnehmen durfte ich nichts als fünf Eier und ein viertel Kilo Butter. Ich wollte aber gerne meine Kousine besuchen. Sie war eine Kriegswitwe und hatte drei kleine Kinder. Ihr Mann war im Jahre 1915 an der Italienischen Front gefallen. Sie wohnte in Burg, lebt heute noch dort und heißt Katharina Trapp. Ja, zu dieser Kriegswitwe wollte ich damals gehen.
Da damals die Mädchen noch lange und ziemlich breite Röcke trugen, (keine Miniröckchen), habe ich an meinem Unterrock an der Innenseite ein festes Tuch angebracht, mit doppeltem Faden genäht, damit ja nichts abreißen möchte. Habe dann der Länge nach zehn Eier hineingelegt und wieder durchgenäht . Das habe ich fünf mal wiederholt, so dass ich sechs mal zehn Eier untergebracht habe. Habe wieder gut vernäht, dass die Eier beim Gehen nicht tscheppern könnten. Denn von zu Hause bis nach Klagenfurt war schon ziemlich weit. Zu Fuß natürlich! Habe dann zwei Hemden angetan und um die Mitte mit dem Unterrock, wo die sechzig Eier eingenäht waren fest zusammengezogen und verbunden. Sechzig Eier waren ja schon schwer! Habe dann hinter dem zweiten Hemd, dass ich etwas lockerer gelassen habe, wieder vierzig Eier hineingelegt, so zwischen Brust und der Magengegend. Das war aber nicht zu sehen, denn ich hatte eine sehr starke Brust. Habe dann ein dünnes Kleid darüber angezogen und eine Trägerschürze. über die Hand habe ich eine Jacke gelegt, wo in jedem ärmel ein halbes Kilo Butter eingenäht war, damit es nicht herausfallen konnte. In die Handtasche legte ich die erlaubten fünf Eier und das Viertel Butter, dass ich der Kontrolle an der Lamplbrücke vorzeigen dürfte. Und so machte ich mich auf den Weg zum „Zahnarzt“.
Als ich schon so eine halbe Stunde unterwegs war, wer kommt mir nach? Ein Süd-Slowenischer Gendarm! Mich traf fast der Schlag, als ich den Gendarmen erblickte, so habe ich mich erschrocken! Ich dachte, was wird, wenn er eine Hand an mich legt? Denn ich kannte ihn gut und auch er mich. Er wohnte nicht weit weg von meinem Elternhaus und war auch ein Wenig in mich verliebt!
Aber, Gott sei Dank und dem Gendarmen alle Ehre! Er ist ganz anständig neben mir gegangen, hat wahrscheinlich bemerkt, dass ich Angst gehabt habe vor ihm. Der Gendarm hat dann später in Rottenstein eine Bauerntochter geheiratet, lebt aber heute nicht mehr. Gebe ihm Gott die ewige Ruh. (Er wurde von jemanden erschlagen).
Bin dann sehr langsam weitergegangen, denn ich hatte nur den Wunsch, dass der Gendarm vorausgehen möge. Und wirklich, habe ich das erreicht. Bin dann alleine weitermarschiert, bis zur Lamplbrücke. Dort wurde dann meine Handtasche, wie auch der Bewilligungsbogen kontrolliert. Mein Grenzübertritt wurde ohne weiteres zugelassen.
Als ich die Demarkationslinie überschritten hatte, war ich so froh und glücklich, dass ich einen lauten Juchzer hätte machen wollen. Und einige Meter weg von der Lampelbrücke, habe ich mich hinter einen Baum gesetzt und unter der Brust die Eier herausgeholt und in die Handtasche gelegt. Ebenso auch den Butter aus den ärmeln.
Die Leute, die vorbeigegangen sind und auch die deutschen Gendarmen, haben mich freundlich angelacht. Als ich um 10- ½ 11 Uhr in Burg, bei der Cousine angekommen war und sie sah, dass ich noch sechzig Eier im Unterrock eingenäht hatte, hat sie die Hände vor dem Gesicht zusammengetan, wie zum Gebet - und so gelacht. Sie hat mich sehr bewundert, dass ich so etwas machen konnte. Ja, war auch keine Kleinigkeit hundert Eier und ein Kilo Butter durch die Kontrolle über die Demarkationslinie zu bringen.
Zur Erinnerung, aufgeschrieben von der 74-jährigen Maria Pistotnig am 25. November 1968.